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Von deutschen Dialekten und mangelnder Interoperabilität

Haben Sie schon einmal versucht, einer Konversation auf Plattdüütsch zu folgen oder mussten sich im Schwabenländle verständigen? Angeblich soll beides mit der deutschen Sprache zusammenhängen. Verstehen kann ich jedoch weder die einen noch die anderen. Und genau das droht uns mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen, wenn wir keine einheitlichen Standards setzen. Wir brauchen Hochdeutsch!

Erinnern Sie sich noch an die Kampagne des Bundeslandes Baden-Württemberg „Wir können alles, außer  Hochdeutsch“? Ich habe die zunächst nicht ganz verstanden. Deutsch ist Deutsch, dachte ich. Aber stellen Sie sich einmal vor, es steht ein Patient vor Ihnen und beklagt sich, dass er schon seit drei Tagen den „Hägger“ hat. Hätten Sie eine Ahnung, wie man den behandelt? Oder dass ein Patient in Norddeutschland, der über „de Snückup“ klagt, dasselbe Problem hat? Mal ehrlich, selbst mit ganz viel Fantasie kann ich beiden Worten partout keine Gemeinsamkeit abgewinnen – geschweige denn auf die Idee kommen, dass sie der Sprache ein und desselben Landes entspringen sollen.

Und genau deshalb gibt es Hochdeutsch. In Schwaben weiß ein Arzt einem Patienten mit akutem Hägger sicher zu helfen, genauso wie in Niedersachsen vielleicht auch der ein oder andere Mediziner dem Plattdüütsch mächtig ist. Für alle anderen braucht es eine allgemeingültige Übersetzung, die da lautet: Schluckauf.

Nun ist es nur verständlich, dass sich regionale Eigenarten einschleichen – sei es in der Küche oder ebender Sprache. Und das ist grundsätzlich auch gut, denn Vielfalt ist in jeder Hinsicht begrüßenswert – solange man sich auf gemeinsame Standards einigt. Kann ich meinem Hausarzt sagen, dass mich der Hägger plagt? Natürlich, wenn ich im Zweifel auch das Hochdeutsche Wort kenne, sollte er mich nicht verstehen.

Ohne Interoperabilität geht es nicht

Worauf ich mit diesem kleinen Sprachexkurs hinaus will: Uns drohen aktuell bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens ähnliche Verständigungsprobleme, wenn jeder seinen eigenen „Dialekt“ durchsetzt. Dann haben wir zahlreiche Variationen des Schluckaufs, nur können die nicht miteinander abgeglichen werden, weil die Systeme untereinander gar nicht wissen, dass sie von ein und demselben Symptom „sprechen“. Schuld ist in diesem Fall jedoch nicht die Technik, sondern die mangelnde menschliche Koordination. In manchen Fällen ist es sogar Absicht, nämlich immer dann, wenn sich ein Hersteller gezielt abzusondern versucht, indem er Schnittstellen zu Fremdanbietern boykottiert. Das mag kurzfristig gewisse Vorteile versprechen, langfristig richtet es jedoch nur Schaden an, für das gesamte Gesundheitswesen und das eigene Geschäftsmodell.

Insbesondere die Standards für die Schnittstellen sind dabei ein großes Problem, das sich mit der Universalsprache „Hochdeutsch“ vergleichen lässt. Wenn Ihnen Ihr Patient von seinem „Snückup“ berichtet, hören sie ihn zwar, können ihn aber nicht verstehen. Würde er Hochdeutsch sprechen, wäre das Problem gelöst. Auf die Digitalisierung übertragen sind einheitliche Standards wie FHIR das Hochdeutsch, das wir brauchen.

Warum sich FHIR durchsetzen sollte

Lassen Sie uns noch einmal einen kurzen Ausflug in die Sprachgeschichte machen, um die Notwendigkeit von Standards besser zu verstehen. Denn das Hochdeutsch, das Sie gerade lesen, hat seinen Ursprung im Indogermanischen – genau wie Indisch, Iranisch, Armenisch, Griechisch, Albanisch, Keltisch, Baltisch oder Slawisch. Das unterstreicht, dass ein gemeinsamer Ursprung nicht automatisch bedeuten muss, dass man miteinander kommunizieren kann und erklärt, wie schnell regionale Unterschiede entstehen können.

Das wir mit Hochdeutsch überhaupt nach einem einheitlichen Standard kommunizieren können, haben wir vermutlich einer technologischen Errungenschaft der Neuzeit zu verdanken: dem Buchdruck. Denn mit ihm gab es eine Möglichkeit, das geschriebene Wort in Form von Büchern und Flugblättern zu verbreiten. Jedes Buch oder jeden Text in zig verschiedene regionale Dialekte zu übersetzen, war da schlicht zu aufwendig, weshalb sich eine einheitliche Schriftsprache durchgesetzt hat.

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens sind derzeit noch zwei „Dialekte“ im Rennen, die beiden Standards HL7 und FHIR. Ich persönlich denke, dass wir alles dafür tun sollten, FHIR zum einheitlichen Standard zu erheben. Aus einem einfachen Grund: Er nutzt die neusten Technologien und bieten uns damit die Möglichkeit, Daten in Echtzeit auszutauschen und auf dieser Basis Prozesse kontinuierlich zu optimieren. Ohne neueste Technologien, auf denen auch FHIR basiert, würde Ihnen die App der Deutschen Bahn beispielsweise nicht in Echtzeit anzeigen, wie viele Minute Verspätung Ihre gebuchte Verbindung aktuell hat.

„Entschuldige, ich habe dich nicht verstanden“

Wer regelmäßig einen Sprachassistenten nutzt, egal welchen, kennt den Satz oben, der einen weiteren wichtigen Aspekt der Interoperabilität anspricht. Denn ein einheitlicher Standard löst noch nicht das Problem, dass die Systeme mit der verwendeten Terminologie auch eine einheitliche Bedeutung verbinden müssen. Deshalb ist es essenziell, dass wir Daten strukturieren und Objekte standardisieren. Das eröffnet uns das Potenzial, Daten zu verarbeiten und mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen die Versorgung zu optimieren. Aber erst, wenn wir uns in allen Systemen auf dieselbe Terminologie einigen, werden interoperable Verbindungen möglich und wir werden Ergebnisse erhalten, die optimal vergleichbar sind und aus denen wir weiteres Wissen ziehen können, an das wir heute vielleicht noch gar nicht denken.

Und wenn uns all das gelungen ist, gilt es am Ende des Tages noch, dass „Fachchinesisch“, auf das wir uns als einheitliche Terminologie geeinigt haben, so runter zu brechen, dass es auch die Patienten verstehen. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Vermutlich würde ein Mediziner eher von einem Singultus, also unfreiwilligen Spasmen des Zwerchfells mit folgendem Verschluss der Epiglottis, statt von einem Schluckauf sprechen. Das wäre auch Hochdeutsch, nur für den Patienten nicht verständlich.

Mit anderen Worten: Wir haben es jetzt in der Hand, ob wir bei der Großbaustelle „Digitalisierung des Gesundheitswesens“ auf „regionale Dialekte“ setzen wollen, sodass ein Niedersache nicht in Bayernbehandelt werden kann (und umgekehrt), weil er oder sie nichts versteht, oder ob wir ein gemeinsames „Hochdeutsch“ finden, das einheitlich Standards setzt. Wenn ich mir da die Belegschaft meines Unternehmens anschaue, die zig verschiedene Nationalitäten umfasst, und mir dann vor Augen halte, wie gut wir mit Englisch als Standardsprache zurechtkommen, weiß ich sofort, wie ich mich entscheiden würde