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„Wir brauchen eine holistische Digitalisierungsstrategie für das gesamte Gesundheitswesen“

Nur ein sicht- und messbarer Mehrwert sorgt langfristig für Veränderung, ist Olaf Dörge von Cerner überzeugt. Aber auch die Finanzierung von Innovationen und technischem Fortschritt muss langfristig und nachhaltig gesichert sein.

Herr Dörge, 2021 steht ganz im Zeichen des KHZG. Wie bewerten Sie grundsätzlich die daraus resultierenden Chancen für das Gesundheitswesen?

Kann man die Chancen anders als hoch bewerten? Ich kann mich nicht erinnern, dass die Digitalisierung in den letzten Jahren schon einmal mit einer solchen Dynamik vorangebracht wurde, wie es mit dem KHZG nun der Fall ist. Ja, die Kriterien sind herausfordernd und ihre Umsetzung wird sicher auch alles andere als leicht. Insgesamt überwiegen aus meiner Sicht jedoch die Chancen – insbesondere auch, weil wichtige Themen wie beispielsweise der Einsatz von Cloud-Lösungen adressiert worden sind.

Wobei Sie kürzlich in einem Interview angemerkt haben, dass Healthcare-IT bisher vor allem die digitale Repräsentanz der analogen Welt war. Birgt der straffe Zeitplan des KHZG da nicht die Gefahr, dass Prozesse einfach digitalisiert, vielleicht sogar mehr schlecht als recht, anstatt neu gedacht werden?

Grundsätzlich besteht diese Gefahr natürlich, weshalb wir bei Cerner mit unserem i.s.h.med Model System hier auch gezielt vorbeugen. Dahinter verbirgt sich nicht nur ein Template für eine weitgehende Vorkonfiguration unseres KIS, sondern vor allem ein umfangreiches Prozessmodell. Wir schauen also nicht nur funktional, sondern prozessgetrieben auf die Digitalisierung in den Häusern und eruieren damit gezielt, wo sich Mehrwert und Nutzen für das klinische Personal generieren, respektive verbessern lassen. Denn aus unserer Sicht kann ein erfolgreiches Change-Management immer nur auf Basis optimierter Prozesse erreicht werden. Veränderung kann man nicht erzwingen. Aber ein sicht- und messbarer Mehrwert überzeugt und schafft damit die Grundlage für kontinuierliche Veränderungs- und Optimierungsprozesse.

Das heißt im Umkehrschluss, dass den IT-Dienstleistern im Rahmen des KHZG eine wichtige Rolle zukommt?

Das ist eine Frage, die wir nur für uns beantworten können, und da kann ich Ihnen klar sagen, dass wir ein langfristiger Partner im Sinne eines kontinuierlichen Innovationsprozesses sein wollen. Sich auf kurzfristige Implementierungen zu konzentrieren, ist aus unserer Sicht nicht nachhaltig. Wir können auf mehr als 40 Jahre Erfahrung in der Healthcare-IT zurückblicken, von der unsere Kunden natürlich genauso profitieren wie von unserem technologischen Know-how. Außerdem setzen wir ganz gezielt auf ein ebenso nachhaltiges Partner-Ecosystem, weil wir davon überzeugt sind, dass Digitalisierung immer ein Gemeinschaftsprojekt ist, das von einer breit aufgestellten Expertise, Interoperabilität, Standards und einem offenen Austausch profitiert. In Summe können wir unsere Anwender so in vielen Bereichen des KHZG mit abgestimmten Gesamtlösungen unterstützen. Denn der Hersteller und IT-Dienstleister als Partner, so wie wir Partnerschaft verstehen, entlastet die Kliniken und schafft damit beispielsweise auch Raum für die bereits angesprochenen Prozessoptimierungen.

Nun sind nicht alle Häuser auf einem gleichen Digitalisierungsstand. Droht diese Schere mit dem KHZG weiter auseinanderzuklaffen?

Lassen Sie mich die Gegenfrage stellen: Bietet das KHZG nicht eher die Chance, den Digitalisierungsstand innerhalb der deutschen Kliniklandschaft zu harmonisieren? Unterschiede bei der Durchdringung der IT gibt es aktuell ja nicht nur zwischen verschiedenen Häusern, sondern sogar schon zwischen den einzelnen Abteilungen eines Hauses. Genau aus diesem Grund halte ich ein umfassendes Assessment als Startpunkt auch für essenziell. Hier gilt es beispielsweise zu klären, welche förderfähigen Lösungen sinnvoll eingesetzt werden können und in welchen Bereichen der größte Investitions- und Innovationsbedarf besteht. Nur so lässt sich ableiten, wie die Fördermittel innerhalb eines Hauses den größten Nutzen erzielen können. Und dann – auch mit vorgedachten und prozessoptimierten Lösungen – können auch Häuser, die aktuell noch mit Digitalisierungsdefiziten zu kämpfen haben, wieder Anschluss finden.

Ein Blick auf das Jahr 2025: Welche Ziele sind mit dem KHZG bis dahin realistisch umsetzbar, respektive wie könnte ein digitales Gesundheitswesen in knapp fünf Jahren aussehen?

Hier genügt es nicht, nur im Rahmen des KHZG, ja nicht einmal nur im Rahmen der Kliniken zu denken. Die aktuelle Pandemie zeigt uns doch, dass wir eine holistische Digitalisierungsstrategie für das gesamte Gesundheitswesen brauchen. Andere Länder sind hier schon weiter, und haben sogar einen Namen dafür: Population Health Management. Die Frage lautet dann, welche Lösungen es braucht, um den Bürger, und nicht mehr den Patienten, in den Mittelpunkt zu stellen. Also wirklich alle Leistungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens benötigt, effizient und effektiv zu orchestrieren. Dafür, aber auch schon für die Digitalisierung im Krankenhaus, ist eine wirklich nachhaltige Finanzierung von IT natürlich essenziell. Das KHZG kann hierfür eine respektable Starthilfe sein. Aber um das Gesundheitswesen als Ganzes wirklich zu verändern, reicht eine Förderung über wenige Jahre nicht aus. Hierfür benötigen wir ein Finanzierungssystem, das den Krankenhäusern kontinuierliche Innovationen ermöglicht und eine langfristige Teilhabe am technologischen Fortschritt erlaubt. Nur so kann eine qualitativ hochwertige und dabei kosteneffiziente Behandlung von Patienten durch IT unterstützt werden. Oder wie es bei Cerner heißt: Health care is too important to stay the same.