„German free“ ersetzt „made in Germany“ in der Welt. Das dürfen wir nicht zulassen. Der Handlungsdruck wächst – mit Grundlagen schaffen ist es nicht mehr getan.
Ich habe in den letzten Tagen einen Artikel im manager magazin wieder und wieder gelesen – respektive mir vorlesen lassen, weil diese kleine, aber feine KI-Funktion perfekt in meinen Alltag passt. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Artikel, von dem ich rede, hat die Überschrift „Negativfaktor Deutschland. Warum „German free“ international zum Werbeslogan wird“ und er hat mir das Herz gebrochen. Denn als Kind der Achtziger bin ich mit „made in Germany“ aufgewachsen. Ein Label, dass für mich immer – wie für viele andere vermutlich auch – immer für Qualität, Sorgfalt und deutsche Ingenieurskunst stand.
Wenn aus „made in Germany“ nun also ein „German free“ wird, was sagt das über die Wirtschaft, die Produkte und Lösungen in unserem Land aus? Oder etwas überspitzt formuliert: Sind wir wirklich so weit weg vom Rest der Welt, dass nicht mehr zählt, was wir hierzulande entwickeln und produzieren? Autor Professor Dr. Klaus Schweinsberg nennt als Beispiel vor allem die Rüstungsindustrie. Hier sei das Kind bereits in den Brunnen gefallen, Deutschland auf dem internationalen Parkett der Moralapostel und als Zulieferer schlicht und ergreifend zu unberechenbar. Polen habe deshalb seine jüngste Bestellung in Südkorea aufgeben.
Wirklich getroffen hat mich allerdings der Satz von der aus Nigeria stammenden Generaldirektorin der World Trade Organization, WTO, Ngozi Okonjo-Iweala, den sie als Ehrengast auf einer Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes gesagt hat und der in besagtem Artikel zitiert wird: „When we talk to China, we get an airport; when we talk to Germany, we get a lecture.“
Zeigefinger runter
Wobei ich zugegen muss, dass ich diese Aussage durchaus nachvollziehen kann. Auch im Gesundheitswesen – mein Metier – neigen wir beispielsweise dazu, immer wieder die hohe Versorgungsqualität zu betonen, die wir hier in Deutschland haben. Oder muss es vielmehr hatten heißen? Denn ein, wie es im Englischen so schön heißt, „sophisticated healthcare system“ zu haben, bedeutet eben auch, dass es Veränderungen, Innovationen und ganz neue Ansätze deutlich schwerer haben. Gehen Sie mal nach Afrika und schauen, wie selbstverständlich Ärzte dort mit Smartphones und Tablets arbeiten. Die haben den „Papierschritt“ schlicht übersprungen.
Und genau hier lauert aus meiner Sicht auch eine große Gefahr, zu der der Satz „Hochmut kommt vor dem Fall“ sehr schön passt. Wenn wir uns weiter darauf ausruhen, was wir alles erreicht haben, werden wir in absehbarer Zukunft nichts mehr erreichen.
Ein anderes, sehr schönes Beispiel ist der Umgang mit künstlicher Intelligenz in Deutschland. Gerade wurde das 500 Millionen Invest in den Heidelberger Entwickler für KI-Anwendungen Aleph Alpha groß gefeiert. Klar, da steht mit der Schwarz Gruppe, Bosch oder SAP ein beeindruckendes Konsortium hinter. Und auch die Ziele sind hehr: Aleph Alpha soll mit dem Geld vor allem im Wettbewerb zu ChatGPT-Konkurrenz OpenAI und Google aufholen. Hier gilt das Motto besser spät als nie, jedoch muss an dieser Stelle die Frage erlaubt sein, ob 500 Millionen dafür ausreichen und ob ein solches Kopf-an-Kopf-Rennen, wie es hier angestrebt wird, überhaupt noch möglich ist. Oder anders gefragt: Was braucht es neben den 500 Millionen noch an weiterem Kapital, Input und Rahmenbedingungen, damit wir wirklich eine Chance haben?
Die Spielregeln definieren andere
Denn wenn ich mir anschaue, dass OpenAI-Gründer Sam Altman schon längst einen Schritt weiter und dabei ist, ein Plattform-Ökosystem aufzubauen, in dessen Rahmen Nutzer ihre eigenen KI-Agenten für neue Aufgaben entwickeln können, habe ich so meine Zweifel. Denn dieser Schritt ist genial. Oder um es mit Altmans Worten zu sagen: „Wir glauben, wenn man den Menschen Werkzeuge gibt, werden sie erstaunliche Dinge tun“. OpenAI muss also in Zukunft gar nicht mehr drüber nachdenken, wo die GPTs noch unterstützen können. Das machen die Plattformnutzer für sie und klären auch direkt das Wie für OpenAI – gegen eine kleine Umsatzbeteiligung.
Ähnlich verhält es sich mit KI in der Medizin. Auf einem Panel des Milken Instituts zum Thema Future of Health im Sommer dieses Jahres waren sich die Teilnehmer einig, dass AI eine wichtige Rolle im Gesundheitswesen spielen kann, ja sogar Burnout bei Ärzten reduzieren, für mehr Diversität in klinischen Studien und mehr Patientenzentrierung sorgen könnte. Aber – und dieses Aber kam aus den USA – es wird kaum möglich sein, die Künstliche Intelligenz zu regulieren. Selbst die neue Initiative von Präsident Biden, AI sicher und vertrauensvoll zu gestalten, hielten die Panelisten für nicht zielführend, weil es für KI-Anbieter ein leichtes sei, unter dem Radar der Regulierungsbehörden zu agieren. Stellen Sie sich eine solche Diskussion einmal in Deutschland vor – das Ergebnis überlasse ich der allgemeinen Fantasie.
Über das Grundlagenschaffen hinauskommen
Ganz aktuell spricht Dr. Susanne Ozegowski in einer Kolumne zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz und zum Digital-Gesetz darüber, dass wir im deutschen Gesundheitswesen jetzt wichtige Grundlagen für eine erfolgreiche Digitalisierung schaffen. Das ist richtig und wichtig. Doch ich sage, wir müssen endlich auch einmal über dieses Grundlagenschaffen hinauskommen. Denn während China die Flughäfen baut, erklären wir Deutschen in unseren gut ausgearbeiteten Vorträgen, wie es laufen könnte. Dafür, dass wir beim eigentlichen Bau von Flughäfen hingegen etwas hinter dem Zeitplan hinterherhängen, hat ein großes Prestigeprojekt im Land unfreiwillig Symbolcharakter.
Am Ende darf es also niemanden wundern, dass „German free“ in gewisser Weise zu einem Aushängeschild im Marketing wird, wenn es analog für Geschwindigkeit, Verlässlichkeit und Zukunftsfähigkeit steht. So ganz mag ich mich vom „made in Germany“ jedoch noch nicht verabschieden, weil ich nach wie vor überzeugt bin, dass wir sehr viel mehr können, als wir aktuell zeigen. Also heißt es Absteigen vom hohen Ross, um endlich die PS auf die Straße zu bringen, die wir hier überall im Land haben.