Für Jeremy Dähn, Leiter Digitalisierung und Innovation der Johanniter GmbH, ist diese Frage aus Sicht einer Klinik nicht einfach zu beantworten. Er versucht es dennoch und betont dabei, wie wichtig der Fokus ist, den der Gesetzgeber mit dem KHZG auf den Patienten legt.
Herr Dähn, für mich symbolisieren Sie eine neue Generation von Führung im Gesundheitswesen. Wie ist es so als „junger Wilder“ in der Klinikwelt?
Ich mag vielleicht im Krankenhauskontext ein „junger Wilder“ sein, aber für mich sind es tatsächlich die Startups, die berechtigterweise lautschreiend Veränderung fordern, aus Sicht des Patienten denken, den Rhythmus der Konsumenten kennen und auf Patienten übertragen können. Deshalb stellen sie auch die teilweise unangenehmen Fragen wie „in anderen Märkten können wir das doch auch, warum nicht im Gesundheitswesen?“ Ich gehöre zwar auch zu denen, die Veränderung wollen, habe aber gleichzeitig ein Verständnis dafür, dass wir nicht alles verändern können. Viel ist berechtigterweise gewachsen und aus guten Gründen so, wie es ist. Beispielsweise der Datenschutz oder die Patientensicherheit. Zu einem Patienten wird man in der Regel erst dann, wenn es einem nicht gut geht. Und in so einer Situation darf ein Patient oder eine Patientin nicht weiter geschädigt werden. Ich stehe also irgendwo zwischen dem „Old Establishment“ und den wirklichen „jungen Wilden“ und sage, wir brauchen Veränderung, aber wir müssen gleichzeitig auch die Regulatorik und den Patientenschutz hochhalten. Beides ist möglich.
Ist das ein Plädoyer dafür, das Gesundheitswesen losgelöst von den Digitalisierungsprozessen in anderen Branchen zu betrachten?
Nein, ich denke, dass wir im Gesundheitswesen schon über den Tellerrand schauen und von anderen Branchen und Industrien lernen können und sollten. Aus Krankenhaussicht müssen wir selbstverständlich immer wieder neu evaluieren, wie wir Abläufe verbessern können, die vielleicht im ersten Schritt für die Patienten noch gar nicht unbedingt sichtbar sind, aber dennoch bei ihnen ankommen, weil Leistungen effektiver sind und die Belegschaft entlasten.
Wenn wir schützenswerte Daten einmal ausklammern, gibt es doch aber jede Menge Nachholpotenzial in einem System, das den Patienten zumindest in Hinblick auf eine umfassende Kommunikation weitgehend ausklammert, sodass er diesem System ein stückweit ausgeliefert ist.
Was das Nachholpotenzial betrifft: Absolut! Damit kommt jedoch auch automatisch die Frage auf, wer eigentlich der Kunde eines Krankenhauses ist. Und die ist deutlich schwieriger zu beantworten. In den USA wurden bereits mehrfach Antwortversuche unternommen, mit der Erkenntnis, dass man im besten Fall nur einen Kunden bedienen kann. Kliniken sind sehr stark auf das Renommee ausgelegt. Je höher es steigt, desto attraktiver wird das Haus für eine sehr gute Ärzteschaft und engagierte Pflegekräfte. Und je besser ein Haus in beiden Bereichen aufgestellt ist, desto besser ist in der Regel die Versorgung. Damit muss wiederum die Frage erlaubt sein, ob die Ärzteschaft und das Pflegepersonal nicht vielleicht die „Kunden“ sind, auf die sich ein Krankenhaus konzentrieren sollte, weil sie maßgeblich zur Versorgungsqualität beitragen. Und damit sind wir noch nicht einmal bei denjenigen, die die Leistungen in einer Klinik tatsächlich bezahlen, sprich, den Kassen. Sicherlich müssten wir diese Diskussion viel intensiver führen. Da sie aber viele Abläufe verändern würde und Unsicherheiten auf allen Seiten schafft, beschäftigen sich nur wenige damit. Relevant sind alle drei Gruppen: Patienten, Belegschaft und die Kassen. Der Fokus hängt jedoch davon ab, ob nur eine der drei Gruppen wirklich Kunde ist, während die anderen Stakeholder sind, oder ob eben alle drei zu den Kunden zählen, die es zu bedienen gilt.
Das KHZG stellt den Patienten und seine Versorgung doch aber klar in den Fokus. Ist die Frage damit nicht zumindest vom Gesetzgeber beantwortet?
Der Gesetzgeber schafft Rahmen und das hat er mit den Formulierungen des KHZG auch ganz klar getan. Ich empfinde das KHZG daher als sehr, sehr guten Leitfaden. Aber der Rest obliegt der Selbstverwaltung, also den Trägern des Gesundheitswesens, beziehungsweise den Landesbehörden, die das Antragsverfahren stellen. Die erste Frage ist demnach, wie stark die Stimme der Patienten in der Selbstverwaltung ist, um ihre Interessen voranzubringen. Weil tatsächlich im KHZG zum ersten Mal der Patient klar in den Fokus gerückt wird, die Services für die Patienten definiert werden und klar kommuniziert wird, was der Gesetzgeber in der Versorgung erwartet und welche Leistungen ein Krankenhaus in der Akutversorgung noch erfüllen könnte. Die zweite liegt in der operativen Bürokratie, also wenn es beispielsweise um die Förderanträge geht. Krankenhäuser haben hier sehr gute Vorstellungen, was es im Sinne des Hauses und des Patienten am sinnvollsten umzusetzen gilt und auch wie. Ein Beispiel, was auch in meinen Aufgabenbereich fällt, ist das Thema Patientenportal. Hier wird ganz klar benannt, welche Services sich der Gesetzgeber durch das KHZG verspricht. Und das sind in der Tat Services, die ein „Kunde“ in anderen Bereichen für ganz normal hält. Ob die Landesbehörden den Erfolg dieser Anträge einschätzen, die Anträge zügig bearbeiten und einen reibungslosen Ablauf gewährleisten können, muss noch beantwortet werden. Leider sind die Vorgaben und das Prozedere pro Bundesland unterschiedlich. Auch scheinen einzelne Länder den sogenannten länderübergreifenden Anträgen ablehnend gegenüberzustehen.
Also schafft das KHZG eine erste Basis, damit sich Patienten wohler, eingebundener und besser informiert fühlen?
Davon bin ich überzeugt – insbesondere über die geförderten Patientenportale, die für eine langfristige Beziehung zu den Patienten sorgen und die Patienten wissen lassen, dass ihre Fragen umfassend beantwortet werden. Allerdings konzentriert sich das KHZG sehr auf Akutkrankenhäuser. Zuweiser und Nachversorger werden zwar genannt, eine Patientenreise beginnt allerdings zu Hause, geht über den niedergelassenen Arzt sowie möglicherweise ein Akutkrankenhaus und kann sich bis in den ambulanten oder stationären Rehabereich, die Heilversorgung und sogar bis ins Seniorenheim erstrecken. Für eine ganzheitliche Sicht und Digitalisierung des Gesundheitswesens müssten diese Stationen natürlich alle mit einbezogen werden. Das ist für uns als Johanniter deswegen so klar, weil wir in allen Bereichen und nicht nur in den Akutkliniken aktiv sind. Wir sehen derzeit also sehr deutlich, dass das KZHG nur einen Teilbereich des Gesundheitswesens fördert. Je besser wir jedoch alle Gesundheitsleistungen vernetzen, desto besser werden die Angebote, die wir den Patienten über die vollen Gesundheitsversorgung machen können. Damit ist auch klar, dass das KHZG nur ein Anfang sein kann.