You are currently viewing Wenn Software-Entwickler „erwachsen“ werden

Wenn Software-Entwickler „erwachsen“ werden

Alle Welt spricht von Digitalisierung, doch was steckt technisch eigentlich dahinter? Ich habe mit dem m.Doc Chief Technology Officer Osiris Roost über seinen Job, Datensicherheit und den Digitalisierungsgrad im Gesundheitswesen gesprochen. Seine Antworten sind wie guter Code: logisch, prägnant und absolut nachvollziehbar.u hinschaut, hat jetzt die Gelegenheit, Digitalisierung in deutschen Kliniken so zu gestalten, dass ein paar Evolutionsschritte übersprungen werden.

Osiris, ihr seid als Entwickler quasi permanent dabei, digitale Lösungen zu verbessern – getreu dem Motto „nach dem Release ist vor dem Release“. Was sind die Treiber hinter dieser ständigen Erneuerung von Systemen?

Hier müssen wir zunächst zwischen den sogenannten Minor und Major Updates unterscheiden. Minor Updates sind kleine Verbesserungen im System, also etwa von Schönheits- oder Flüchtigkeitsfehlern, die während der Programmierung einfach passieren. Wir sind auch nur Menschen. Und innerhalb eines Systems mit 500.000 Zeilen Code gibt es immer Arbeit. Im Vergleich dazu sind Major Updates eine ganz andere Liga. Vor allem gibt es hier ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Beweggründe.

Welche wären das?

Das extremste Beispiel sind sicherlich zwei Entwicklungsteams, die parallel arbeiten. Während eines die Plattform unterhält, arbeitet das zweite Team an einem neuen Release. Ist die fertig, sagen wir innerhalb von zwei Jahren, wechseln die Teams. Mit anderen Worten: Alle zwei Jahre wird das System von Grund auf erneuert. Etwas gängiger sind strategische Major Updates, mit denen ein bestehendes System anhand neuer Trends und Entwicklungen ausgerichtet wird, die mitunter komplett neue Ansätze erfordern. Meist geht dem ein Philosophie- oder Richtungswechsel voraus. Auch neue Hardware kann ein Anlass für ein Major Update sein – im Gesundheitssektor beispielsweise neue medizinische Geräte. Und dann darf man nicht vergessen, dass wir Entwickler wirklich niemals mit unseren Entwicklungen zufrieden sind.

Das musst du bitte näher ausführen: Ihr liefert doch fertige und in sich stimmige Lösungen und Systeme ab?

Um das zu verstehen, müssen wir kurz in den Prozess eintauchen. Ich programmiere jetzt seit etwa 30 Jahren, habe mit zahlreichen Entwicklern und an noch mehr Entwicklungen gearbeitet. In dieser ganzen Zeit habe ich wirklich niemanden kennengelernt, der sich bei einem Major Release, an dem er ein Jahr oder länger gearbeitet hat, nicht gewünscht hätte, noch einmal von vorne beginnen zu können. Das liegt ganz einfach daran, dass Programmieren bedeutet, logische Systeme zu bauen. Dafür schreiben wir technische Dokumentationen und zeichnen Architekturen. Wir können zu Beginn jedoch nur erahnen, in welchen Dimensionen wir uns am Ende bewegen werden. Sind wir da angekommen, ist das System meist deutlich größer als ursprünglich erwartet und genau dann sagt sich jeder Entwickler „hätte ich das vorher gewusst, hätte ich es anders gemacht“. Das heißt nicht, dass etwas nicht funktioniert oder unausgereift ist. Es heißt nur, dass es Verbesserungspotenzial gibt, weshalb wir auch immer irgendwie Getriebene sind, dieses Potenzial zu heben.

Du arbeitest mit deinem Team hier bei m.Doc gerade an einem Major Release, nämlich an der 7. Generation unserer Smart Health Platform. Wie viel Innovation steckt in einem solchen Update?

Das hängt immer von der Branche und dem Umfeld ab und natürlich davon, wie sich ein Unternehmen positioniert. Im Fall von m.Doc und dem Plattform-Update würde ich schätzen, dass etwa 70 Prozent Innovation sind – was schlicht und ergreifend daran liegt, dass wir als Digital Healthcare Pionier die Zukunft im Gesundheitswesen aktiv mitgestalten und die Branche noch sehr viel Raum für Innovationen bietet. Überall dort, wo die Digitalisierung schon weiter ist – denk einmal an Social Media – sind echte Innovationen natürlich viel schwieriger.

Kannst du schon ein paar Details zur 7. Generation verraten?

Details bleiben bis zum Release noch unter Verschluss. Was ich jetzt aber schon sagen kann: Viele der Innovationen und Neuerungen sind aus dem direkten Feedback der zahlreichen Kunden entstanden, die aktuell mit der 6. Generation unserer Plattform arbeiten. Viel Input kam zudem aus dem Beraterumfeld,  weiteren Beteiligten im Gesundheitssektor sowie natürlich aus dem Unternehmen selbst. Bei m.Doc arbeiten Menschen, die unter anderem die ersten KIS-Systeme mitentwickelt haben und damit über 30 Jahre Erfahrung mit Gesundheits-IT verfügen. Letztendlich hat all dieses sehr konstruktive Feedback dazu geführt, dass ein Großteil des Codes erneuert wurde. Die (Gesundheits-)Welt darf sich auf dieses Major Release also wirklich freuen.

Wie bewertest du das Thema Daten-, Informations- und IT-Sicherheit, das gerade in Bezug auf die sensiblen Gesundheitsdaten gerne kontrovers diskutiert wird?

Absolute Sicherheit gibt es in keinem System. Flugzeuge sind das sicherste Transportmittel und trotzdem stürzen immer wieder welche ab. Für ein Höchstmaß an Sicherheit gibt es deshalb Standards und Richtlinien. Klar ist aus meiner Sicht, dass die aktuelle Phase der Digitalisierung im Gesundheitswesen keine für Amateure ist. Dafür steht hier – auch mit Blick auf die Akzeptanz – noch zu viel auf dem Spiel. Andererseits können wir Digitalisierung nicht aufhalten. Daher können wir die Systeme nur so gut und so sicher konzipieren, wie möglich – und müssen kontinuierlich an Verbesserungen arbeiten.

Zum Abschluss: Warum glaubst du, ist gerade das Gesundheitswesen im Vergleich zu anderen Branchen in Sachen Digitalisierung noch nicht weiter? 

Ich hab da eine relativ einfache und für mich stimmige Erklärung, die mit der Entwicklung der IT insgesamt zusammenhängt. Angefangen hat alles mit irgendwelchen Studenten, die in den diversen Garagen des Silicon Valley die heutigen Tech-Giganten gegründet haben. Mit Anfang 20 hast du viele Visionen und Ideen, um deine Gesundheit kümmerst du dich in der Regel nicht. Sie ist für dich selbstverständlich. Doch irgendwann werden auch Tech-Visionäre und Entwickler älter, haben Familie und Kinder. Ich musste vor kurzem mit meinem Sohn ins Spital und habe etwa zwei Stunden in der Notaufnahme warten müssen – und das ist kurz, weil ich in einem Land mit guter Gesundheitsversorgung lebe. Dennoch sind es Erfahrungen wie diese, die förmlich nach Digitalisierung schreien. Ich sollte mich zu Hause einloggen, alle Informationen übermitteln können und dann ein Zeitfenster im nächsten Spital bekommen. Und genau daran möchte in gemeinsam mit dem Team von m.Doc arbeiten – heute, mit Anfang 20 wäre meine Antwort vermutlich auch anders ausgefallen.