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So geht Reform vor der Sommerpause

Und wieder hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bewiesen, dass er durchaus ein Macher ist, der es mit politischem Geschick versteht, Vorhaben umzusetzen. Eine erste Bewertung der Eckpunkte zur Klinikreform.

Ich weiß nicht, ob man im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz dieser Tage missgünstig in Richtung des Bundesministeriums für Gesundheit schaut, könnte es mir aber gut vorstellen. Denn während das „Heizungsgesetz“ kurz vor der Sommerpause vom Bundesverfassungsgericht auf „Eis“ gelegt wurde, war Lauterbachs Krankenhausreform fast schon ein Start-Ziel-Sieg, mit dem so wohl kaum einer gerechnet hat: eine Enthaltung (aus Schleswig-Holstein) und eine Gegenstimme (Bayern), ansonsten 14-mal Zustimmung aus den anderen Bundesländern zum, wie Lauterbach es nennt, „sehr detaillierten Eckpunktepapier“.

Nun soll über den Sommer, ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit den Ländern, der entsprechende Gesetzesentwurf verfasst werden. Denn: Nach dem Willen des Bundesgesundheitsministers soll die Reform bereits zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Politisch geschickt

Zu dem Wie der Krankenhausreform kann man Lauterbach fast nur gratulieren. Denn die „Revolution“, wie er sie nennt, verändert sowohl in Bezug auf die Vergütung als auch die Versorgung im Land eigentlich alles. Das dürfte im Übrigen auch der Grund sein, warum es die Gegenstimme aus Bayern gab. Denn dort ist im Oktober Landtagswahl. Und weil der amtierende Ministerpräsident Markus Söder schon werbewirksam und vermutlich fürs Image Zwergdackel knuddelt, passen Klinikinsolvenzen so gar nicht zum Wahlkampf im Freistaat. Denn genau die werden mit der Klinikreform billigend in Kauf genommen. Die Klinikreform kann also durchaus auch als eine Art Marktbereinigung gesehen werden, die die Lücke schließen soll, die zwischen der stationären Versorgung in Deutschland und anderen Ländern klafft. Wie man diesen indirekten Weg auf moralischer Ebene bewertet, ist eine andere Frage. Politisch ist es auf jeden Fall geschickt und wohl auch ein Grund, warum die Einigung zwischen Bund und Ländern nun schneller kam als gedacht. Denn schließlich sollen die Fallpauschalen mit der Klinikreform künftig wegfallen. Stattdessen sollen Kliniken 60 Prozent ihrer Einnahmen über Vorhaltepauschalen generieren. Das nehme den wirtschaftlichen Druck, sagte Lauterbach. Wer trotzdem in die Insolvenz schlittert, ist dann wohl selbst schuld, wird es in der Argumentation vermutlich heißen.

Hehre Ziele

Und dann kann man auch den Zielsetzungen, die mit der Krankenhausreform verfolgt werden sollen, auf den ersten Blick nicht wirklich widersprechen: Versorgungssicherheit, eine höhere Behandlungsqualität und Entbürokratisierung. Halleluja, möchte man da rufen. Allerdings ist die Definition dieser Qualität so eine Sache. Zum einen hängen die Vorhaltepauschalen von den Qualitätskriterien ab, die eine Klinik erfüllt. Lauterbachs Idee: Kliniken können sich so darauf konzentrieren, was sie gut können. Wie genau diese Qualitätskriterien aussehen, behält sich das 15-seitige Eckpunktepapier jedoch offen. Der einzige Hinweis, der dort zu finden ist, sind die in Nordrhein-Westfalen eingeführten Leistungsgruppen, die auch auf Bundesebene als Basis dienen sollen.

In jedem Fall will das Bundesministerium für Gesundheit auf volle Transparenz in Punkto Behandlungsqualität setzen – wenn die Kriterien denn erst einmal definiert sind. Dafür plant Lauterbach zusätzlich auch ein Transparenzgesetz, mit dem Daten zur Behandlungsqualität aller Kliniken veröffentlicht werden sollen und anhand derer sich vor allem Patienten dann orientieren können.

Gute oder schlechte Krankenhausreform?

Die Bewertung der Reform ist aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt nicht ganz einfach – auch weil neben den Eckpunkten die wesentlichen Details noch nicht feststehen. Was man dem Gesundheitsminister in jedem Fall zugutehalten muss: Er hat sich wirklich etwas getraut. Dass ein „Weiter-so-wie-bisher“ nicht mehr funktioniert, spüren wir alle. Auch die Kliniken. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft lag das Defizit aller Häuser im April bereits bei neun Milliarden Euro. Das hier zwangsläufig Insolvenzen drohen, liegt auf der Hand. Und gerade kleine Häuser mit zu geringen Fallzahlen in ländlichen Regionen würden im bestehenden System wohl kaum überleben. Nach der Reform haben sie hingegen mit dem klaren Fokus auf eine ambulante Erst- und Grundversorgung eine reelle Chance. Ob es allerdings klug ist, gerade einmal drei verschiedene Versorgungslevels zu definieren, bei denen vor allem die Universitätskliniken das Maß aller Dinge sein sollen, wage ich zu bezweifeln – zumindest sind sie nicht die einzigen Häuser, die in spezialisierten Bereichen eine exzellente Versorgung gewährleisten können.

Spannend wird auch die Frage, ob und inwieweit sich die Regionalpolitik an die Vorgaben aus Berlin halten wird. Dafür, dass es hier aktuell durchaus Tendenzen zu – ich nenne es mal – Ungehorsam gibt, gibt es bundesweit zahlreiche Beispiele. Und wenn die regionale Klinik in Hintertupfingen dann tatsächlich vor der Insolvenz steht, möchte ich den Lokalpolitiker sehen, der achselzuckend sagt: „Das ist in Berlin so gewollt, da muss unsere Region jetzt durch!“. Damit sind wir auch schon bei einem weiteren wichtigen Punkt: Der Versorgungsgerechtigkeit. Ich hier in Köln muss mir bei der Dichte an Unikliniken im unmittelbaren Umkreis vermutlich keine Gedanken um meine Gesundheitsversorgung machen. Doch was ist mit den Menschen in Regionen, die es ein paar hundert Kilometer bis zur nächsten Level-3-Versorgung, den Maximalversorgern, haben? Denn „wohnortnah“ wird im Eckpunktepapier ebenfalls nicht näher definiert und kann wohlwissend sehr subjektiv ausgelegt werden.

Wo bleiben die Patienten?

Und was zu guter Letzt auffällt: Die Krankenhausreform ist wirtschaftlich getrieben. Das ist per se nicht verkehrt, schließlich sehen wir an den Defiziten der deutschen Kliniken, wie prekär die Lage in Teilen ist und dass sich daran schon kurzfristig etwas ändern muss. Aber wäre es mit all dem Wissen, das wir heute haben, und mit dem Mut, den der Bundesgesundheitsminister mit dem Reformentwurf bewiesen hat, wirklich so abwegig, Veränderungen im Gesundheitswesen einmal ganzheitlich, von den Patienten ausgehend zu denken? Auf einem weißen Blatt Papier anzufangen, wäre sicherlich eine utopische Forderung. Dennoch wäre die Klinikreform eine gute Gelegenheit, Sektorgrenzen zu überwinden. Denn wer neben Klinikreform und Digitalgesetz sich die weiteren Pläne des BMG anschaut, sieht: Da wird gearbeitet. Vier weitere Gesetze stehen neben den beiden „Promis“ noch für dieses Jahr auf der Agenda. Acht weitere soll es 2024 geben. Und zumindest beim Versorgungsgesetz I zur Stärkung der Kommunen in der Gesundheitsversorgung (GVSG), wo der Referentenentwurf schon seit Mitte Juni vorliegt, muss man sich fragen, warum es hier keine Integration oder ein sektorübergreifendes Vorgehen im Rahmen der Klinikreform gibt. Außerdem vermisse ich ein klares „Digital-vor-ambulant-vor-stationär“, was wir aus meiner Sicht für zukunftsweisende Veränderungen in der Gesundheitsversorgung zwingend brauchen, genauso wie den Zeremonienmeister, der die vielen Gesetzesvorhaben konzertiert, die Fäden zusammenführt und das große Ganze im Blick hat, wie es so schön heißt. Ob es einen solchen Zeremonienmeister im Föderalismus in der Praxis überhaupt geben kann, ist ebenfalls eine spannende Frage.

Leider habe ich keine Kristallkugel, um in die Zukunft zu schauen – was vermutlich aus so vielen Gründen auch besser ist. Wie die Klinikreform am Ende des Tages zu bewerten ist, wird sich zeigen müssen. Dennoch möchte ich diesen Kommentar mit einem positiven Fazit abschließen, das da lautet: Endlich tut sich mal etwas! Denn das „einfach mal machen“, was sich für mich als Motto schon lange bewährt hat, ist besser als ewiger Stillstand. Dass Fehler auf einem solchen Weg passieren, steht außer Frage. Hoffen wir also, dass die Verantwortlichen dann auch den Mut beweisen, sich diese einzugestehen und dann nachbessern.