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“Man spürt aktuell eine gewisse Goldgräberstimmung”

Keine Frage, das KHZG bringt einen Digitalisierungsschub für deutsche Kliniken – aber nicht ohne Herausforderungen. Und die schätzt mein Gesprächspartner Dr. Pascal Grüttner, Leiter des Dienstleistungscenters IT der Hospitalvereinigung St. Marien GmbH und stellvertretender Vorsitzender des Vereins Digital Health Germany, sehr realistisch ein.

Herr Dr. Grüttner, haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für die Premiere unserer Interviewreihe zum KHZG nehmen. Unser Ziel ist es, den aktuellen Status Quo der Digitalisierung in den Kliniken zu beleuchten, aber auch zu schauen, welche Themen gerade auf der Agenda sind und wo es vielleicht noch hakt. Daher zum Einstieg die Frage:
Kommt die Digitalisierung in deutschen Kliniken mit dem KHZG in Schwung?

Das mit Sicherheit – was aber auch nicht weiter schwierig ist. Denn mit Blick auf die Krankenhaus-IT ist Deutschland ganz klar Entwicklungsland, wie Studien immer wieder belegen. Jegliche Förderung kann die deutsche Krankenhauslandschaft also nur nach vorne bringen. Allerdings gehen mit dem KHZG auch Risiken einher – zum einen, weil die Anzahl der Anbieter mit passenden und praxiserprobten, förderfähigen Lösungen am Markt in vielen Bereichen überschaubar ist. Zum anderen finden sich im Gesetzestext viele sehr starke MUSS-Kriterien, was – negativ interpretiert – schlicht die Realität nicht hinreichend berücksichtigt.

Positiv betrachtet sorgen starke MUSS-Kriterien doch aber auch dafür, dass jetzt in starke Lösungen investiert wird, die letztendlich zu einer besseren Versorgung der Patienten führen.

Das stimmt natürlich. Nur dürfen die eben nicht völlig losgelöst von der aktuellen IST-Situation betrachtet werden. Sicherlich steckt von Seiten der Regierung auch das Kalkül dahinter, Druck auf die Branche aufzubauen. Allerdings sind einige der MUSS-Kriterien eben fast schon zu anspruchsvoll, sodass diverse Häuser eigentlich zwangsläufig scheitern müssen.

Sind die Herausforderungen für manche Kliniken wirklich so groß?

Ich denke schon, was zu einem Teil auch am engen Zeitrahmen des KHZG liegt. Natürlich gibt es extrem starke Häuser, die in Sachen Digitalisierung schon sehr weit sind. Und dann gibt es solche, die noch weitestgehend papierbasiert arbeiten. Selbst für die ePA braucht man WLAN im Haus, was banal klingt, aber nicht überall Standard ist. Das heißt, es müssen neben der Technik auch die Prozesse sowie die Denk- und Arbeitsweisen grundlegend verändert werden. Basis wäre dafür erst einmal eine IST-Analyse, die alleine schon viele Monate dauern kann. Viel Zeit für die Umsetzung förderfähiger Projekte bleibt da nicht. Außerdem stellt sich die Frage: Wer soll ein solches Projekt umsetzen und wo sollen die Krankenhäuser die ganzen Experten finden, die sie bei einer nachhaltigen Digitalisierung unterstützen?

Also müssen die Möglichkeiten des KHZG doch kritischer bewertet werden?

In jedem Fall realistischer. Man spürt aktuell eine gewisse Goldgräberstimmung, die gefährlich ist. Zudem verleitet der enge Zeitrahmen zu Provisorien. Klar ist aber auch, dass digitale Versorgungsprozesse keine Lücken haben dürfen. Daher stelle ich mir die Frage, wie weit bei der Umsetzung an Nachhaltigkeit und Risikomanagement gedacht wird. Denn die mit dem KHZG eingeführten digitalen Prozesse müssen laufen – und zwar lange.

Weil Sie eingangs die geringe Anbieterdichte im Bereich Digital Health angesprochen haben: Ist Deutschland auch hier Entwicklungsland?

Ich denke, dass wir hier eine parallele Baustelle haben und grundsätzlich festhalten können, dass wir es besser machen könnten. Es gibt genug gute Ideen im Land und zudem auch diverse Förderprogramme für Startups – allerdings aus meiner Sicht auch zwei große Hürden: Wir sind viel zu vorsichtig und es gibt zu viel Bürokratie.

Wobei gerade das KHZG von vielen Seiten für sein Minimum an Bürokratie gelobt wird.

Wir haben zwar noch keine Anträge geschrieben, die Anforderungen für die Bedarfsmeldung an das jeweilige Bundesland sind jedoch in der Tat überschaubar. Grundsätzlich bin ich deshalb auch davon überzeugt, dass mit den KHZG-Fördergeldern viele gute Projekte umgesetzt werden können. Es ist jedoch nur ein erster Schritt, damit Deutschland hoffentlich den Status eines Entwicklungslandes ablegen kann.