Die HIMSS in Orlando war in vielerlei Hinsicht die Reise wert. Besonders spannend ist allerdings, wie sich die digitale Reifegradmessung in den USA derzeit verändert. Wer genau hinschaut, hat jetzt die Gelegenheit, Digitalisierung in deutschen Kliniken so zu gestalten, dass ein paar Evolutionsschritte übersprungen werden.
Seinen Horizont erweitern, über den Tellerrand schauen oder auch mal die Perspektive ändern – es gibt viele Sprichwörter, die uns animieren, ab und an auch mal die Gefilde jenseits der eigenen Komfortzone zu erkunden. Warum? Weil eben diese Schritte Wachstum versprechen, uns stärker machen und anhand der neu gewonnenen Erfahrungen und Impulse Innovationen entstehen.
Genau das haben einige Vertreter des deutschen Gesundheitssystems im März getan. Sie haben die HIMSS Global Health Conference & Exhibition 2022 in Orlando – die vielleicht wichtigste Veranstaltung des Jahres für Gesundheitsinformation und -technologie – genutzt, um sich Inspiration für die Digitalisierung der deutschen Gesundheitsbranche zu holen. Denn machen wir uns nichts vor: Die USA haben hier eindeutig (noch) einen Vorsprung.
Auch ich war in Orlando vor Ort. Und was mich besonders nachhaltig geprägt hat und worüber ich hier sprechen möchte, ist die Modernisierung des EMRAM, des Electronic Medical Records Models – einem Modell, um den Digitalisierungsgrad in Krankenhäuser zu beschreiben. Denn was sich hier gerade verändert, hat meiner Meinung nach das Potenzial, die gesamte Branche zu verändern.
Handy Anfang der 90er versus heute
Diese Modernisierung dürfen wir uns in etwa so vorstellen, wie die Entwicklung des Smartphones. Während der Nokia 9000 Communicator in den Neunziger dafür gefeiert wurde, dass er auch Faxe versenden konnte, kennt die Smart-Phone-Generation Z heute nicht einmal mehr die Marke Nokia oder weiß, wie ein Fax verschickt wird. So ähnlich verhält es sich auch mit dem EMRAM. 2005 war der Digitalisierungsgrad hoch, wenn eine Klinik möglichst papierlos organisiert war. 2018 ging es dann schon um datengetriebene Prozesse in den Kliniken. Und heute, im Jahr 2022, sprach Anne Snowdon, Chief Scientific Research Officer der HIMSS, in ihrer Präsentation über den Shift von prozessualen hin zu klinischen Ergebnissen, vom „Patient Engagement“ hin zum klinischen Nutzen elektronischer Patientenakten.
Hier zeigt sich der deutsche Nachholbedarf schon deutlich. Denn um die Daten aus der elektronischen Patientenakte nutzen zu können, muss diese erst einmal flächendeckend eingeführt und mit Daten gefüllt sein. Das ist hier aber nicht der Punkt – es geht vielmehr um den Blick auf die Patientinnen und Patienten und der verschiebt sich mit der Modernisierung des EMRAM gerade deutlich.
Patienteninteraktion mit Bedeutung
Dieser nächste Evolutionsschritt ist deshalb so bedeutend, weil Digitalisierung eben nicht zum Ziel hat, möglichst viele Daten um der Daten willen abzugreifen. Daten sind genauso wie die Digitalisierung kein Selbstzweck, es geht darum, Mehrwert zu generieren. Anstatt also zu sagen, „Liebe Patientin, wir stellen dir über unser Patientenportal deine Vitaldaten zur Verfügung“, ist der nächste logische Schritt „Lieber Patient, hier sind deine Vitaldaten und auf dieser Basis leiten wir folgende Handlungsempfehlungen ab.“ Mit entsprechend radikaler Patientenzentrierung ergibt sich sowohl für die Behandler als auch für die Patientinnen und Patienten Mehrwert, der sich auf das gesamte Gesundheitssystem ausdehnt, wenn sich dadurch die „Ergebnisse“, sprich die Gesunderhaltung oder Genesung, verbessern.
Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zusammenzufassen: Mit dieser Modernisierung wird der neue Digitalisierungsgrad von Kliniken nicht mehr an irgendwelchen technischen Maßstäben gemessen. Fortschrittlich sind dann die Häuser, die zum Partner in allen Gesundheitsfragen für ihre Patientinnen und Patienten werden.
Kann Deutschland ein paar Evolutionsschritte überspringen?
Was hat dieser „Blick über den Tellerrand“ für die „Deutsche Delegation“ in Orlando nun gebracht? Ich erhoffe mir ehrlicherweise, dass die Modernisierung des EMRAMS auch auf den DigitalRadar Krankenhaus ausstrahlt. Immerhin sind wir noch mittendrin in der Ausschreibungsphase des KHZG. Und genau an dieser Stelle kommt zum Tragen, was ich so gerne wiederhole: Wir haben JETZT die Chance, mit der KHZG-Förderung die Weichen für die Zukunft zu stellen. Wir müssen nicht beim Nokia 9000 Communicator starten, wenn alle anderen schon das iPhone 13, das Samsung S22 oder eines der anderen kleinen Hightech-Wunder nutzen.
Wir sollten also dafür sorgen, dass die KHZG-Förderung genau in die Projekte fließt, mit der die Kliniken hierzulande einen hohen Score im modernen EMRAM erreichen. Und auch hier wiederhole ich mich wirklich gerne: Wir haben eine unfassbar große Chance, mit dem gezielten Einsatz von Ressourcen und der Auswahl der richtigen Lösungen die digitale Transformation in riesigen Schritte in die richtigen Bahnen zu lenken, sodass wir nicht nur den Anschluss wiederfinden, sondern vielleicht auch um den „Gesamtsieg“ mitfahren können – zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und unserer Volkswirtschaft. Wieso? Weil wir es können!