Eigentlich sollten wir aufatmen: Die Corona-Pandemie ist (fast) überwunden. Doch so recht will keine Ruhe im Gesundheitssystem einkehren. Im Gegenteil. Die Berichte aus den Hausarzt- und Kinderarztpraxen sind alarmierend und die Betten in den Kliniken belegt. Brauchen wir wirklich einen noch deutlicheren Weckruf, um endlich an einer modernen, digitalen, effizienten und gerechteren Gesundheitsversorgung zu arbeiten?
Ob nun erst nach dem Winter, wie Intensivmediziner Karagiannidis prophezeit, oder schon jetzt, wie Drosten verkündet: Klar ist, das Corona-Virus hat wohl seinen Schrecken verloren. Ist es deswegen in den Arztpraxen und Kliniken ruhiger geworden? Nein, denn die Coronaviren wurden einfach von anderen Vertretern derselben Zunft abgelöst. Influenza- und RS-Viren, kurz für Respiratorisches Synzytial-Virus, sorgen derzeit für eine ähnlich angespannte Lage wie zu Corona Hochzeiten. Gerade Kinder treffen die RS-Viren hart – auch, weil es kaum noch Medikamente gibt.
Eine Mutter mit kleinen Kindern im Bekanntenkreis hat es sehr treffend formuliert. Sie sagte, dass es erschreckend ist, wenn Eltern anstatt mit Medikamenten mit Rezepten für Hausmittel nach Hause geschickt werden, was aber eben in vielen Teilen der Welt der traurige Standard ist.
Haben wir unsere Hausaufgaben wirklich gemacht?
In den Medien findet die aktuell wieder sehr angespannte Lage im Gesundheitswesen deutlich weniger statt. Der Corona-Pandemie wurde definitiv mehr Raum zugestanden. Das mag zum einen am Überdruß an dieser Art der Berichterstattung liegen. So hart es auch klingt: Es liegt vermutlich aber auch daran, dass eben hauptsächlich Kinder betroffen sind, weshalb die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen geringer sind.
Das alleine sagt schon eine Menge aus, soll aber an dieser Stelle nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns in Punkto Gesundheitsversorgung offensichtlich an einem Scheideweg befinden. Die Frage ist also, ob wir wirklich in einer Welt leben wollen, in der simple fibersenkende Medikamente für Kinder Mangelwaren sind oder Eltern an der Kliniktür abgewiesen werden, weil schlicht keine Betten mehr frei sind.
Denn wenn die Gemengelage dieser Tage eines mehr als deutlich zeigt: Wir haben keine Zeit zum Durchatmen. Die vehemmente Einschränkung von Kontakten und das konsequente Masketragen haben dazu geführt, dass uns die „normale“ Viruslast nun geballt trifft – und sie trifft auf ein Gesundheitswesen, dass ohnehin permanent unter der immensen Last ächzst und stöhnt. Wir haben während der Corona-Panemie einiges über diese „morschen“ Stellen erfahren dürfen, beheben konnten wir sie offensichtlich noch nicht. Und wenn es mit der Belastung so weitergeht, ist es durchaus möglich, dass der traurige Standard, den die Menschen von der Gesundheitsversorgung in vielen anderen Ländern kennen, auch hierzulande zur Realität wird.
Reiner Kommerz schadet der Gesundheit
Wenn wir daran etwas ändern wollen, müssen wir vor allem auch über die Finanzierung der Gesundheitsversorgung sprechen. Genau das tut das Gesundheitsministerium aktuell – stößt dabei jedoch auf deutliche Kritik. Lauterbachs Krankenhaus-Reform wird in der Berliner Zeitung beispielsweise lapidar als „Reförmchen“ abgespeist.
Und tatsächlich haben wir ein Problem, wenn es für Pharmakonzerne nicht mehr lukrativ genug ist, Arzneimittel für Kinder herzustellen. Ich denke, hier sollten sich Politik und Industrie einmal gemeinsam an einen Tisch setzen, um vor allem eine flächendeckende Verfügbarkeit als Gegengewicht zur Gewinnoptimierung in die Waagschale zu werfen. Vermutlich müssen dafür beide Seiten aufeinander zugehen. Auch beim privaten Kapital müssen wir an einigen Stellen genauer hinschauen. Und zwar dann, wenn bestimmte Bereiche wie die Augenheilkunde und Zahnmedizin privatisiert werden (= Zugang zu Kapital bekommen), während weniger lukrative Bereiche, die aber leider die Grundversorgung bilden, um ihre Existenz fürchten müssen. Gerade Ende Dezember haben die Lahn-Dill-Kliniken, eine Klinikverbund in öffentlicher Hand und essenziell für die Versorgung in der hessischen Region Wetzlar, Dillenburg, Braunfels, einen Rekordverlust vermelden müssen. Ein Minus von 14 Millionen Euro steht am Ende des Wirtschaftsplans für das kommende Jahr.
Bei diesem einen Beispiel wird es nicht bleiben, wie das gerade veröffentlichte Klinikbarometer zeigt. Hier geht man von einer hohen Prozentzahl an Kliniken aus, die 2023 mit roten Zahlen abschließen werden. Spannend sind die Lahn-Dill-Kliniken aber vor allem, weil eben gerade die regionale Versorung insbesondere durch sogenannte medizinische Versorgungszentren, MVZ, so dermaßen interessant ist, dass sich immer mehr Finanzinvestoren in diesem Bereich engagieren. Zwar will Gesundheitsminister Lauterbach auch hier mit der entsprechenden Gesetzgebung dafür sorgen, dass aus diesem Markt, der keiner sein sollte, auch keiner wird. Manche Bereiche – Experten nennen hier (un)gerne die Radiologie als Beispiel – befänden sich jedoch schon auf dem Weg in ein regelrechtes Oligopol. Das es sich hierbei um einen schmalen Grad handelt – einerseits braucht eine qualitätsvolle Gesundheitsversorgung (privates) Kapital, andererseits dürfen nicht nur die Rosinen finanziert werden – steht außer Frage. Doch wir müssen aus meiner Sicht konstruktiv an Lösungen arbeiten und eventuelle auch mal neue, unbekannte Wege einschlagen – nur so als Idee…
Gerechtere Versorgung
Wenn also MVZ für Finanzinvestoren spannend sind, eine regionale Klinik aber derart hohe Verluste schreibt, muss die höhere Effizienz, die eine ambulante Versorgung offensichtlich auch wirtschaftlicher Sicht verspricht, zumindest ein maßgeblicher Faktor sein. Ergo muss es für ein Mehr an Wirtschaftlichkeit gelingen, die Effizienz in der Versorgung insgesamt zu erhöhen. Das hieße, dass Kommerz der Gesundheit nicht zwangsläufig schaden muss, wenn der Faktor der Wirtschaftlichkeit als Maßstab dafür angelegt wird, was in Zukunft bestand haben kann. Wichtig ist jedoch, dass wir dabei gerecht bleiben. Das heißt: Nicht Angebot und Nachfrage dürfen Preis und Qualität der Versorgung bestimmen, eine hochwertige Gesundheitsversorgung muss die Menschen flächendeckend erreichen. Und das wird ohne ein Umdenken und ohne digitale Lösungen kaum möglich sein.
Telemedizinische Lösungen könnten derzeit dafür sorgen, dass Eltern auch dann die medizinische Unterstützung und ein enges Monitoring ihrer Kinder bekommen, wenn alle Klinikbetten belegt sind oder wenn die Spezialistin für eben diese Erkrankung im 150 Kilometer entfernten Uniklinikum sitzt.
Es sterben in Deutschland dieser Tage Kinder an einer Atemwegserkrankung, weil es an Betten und Personal in Ärzteschaft und Pflege mangelt. Das können wir so nicht hinnehmen – zumal die Belastungssituation nicht besser wird, wenn wir nichts verändern. Die Pandemie war der Weckruf. Haben wir die berühmte Snooze-Taste gedrückt und sind jetzt mitten in der nächsten (Gesundheits)Krise aufgewacht? Spätestens jetzt, sollten wir die Notwendigkeit zur Veränderung erkennen – und die Chance nutzen, die sich daraus ergibt. Weitermachen wie bisher? Kaum möglich! Und noch deutlicher kann es eigentlich nicht mehr werden – hoffentlich.