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DMEA 2023: Noch nicht am Ziel

Es waren wie immer grandiose drei DMEA-Tage, über die man viel Positives berichten könnte – wenn da nicht auch eine gewisse Zufriedenheit zu spüren wäre, die wir uns gerade jetzt (noch) nicht erlauben dürfen!

Was die Digital Health Branche im April beschäftigt hat? Ganz eindeutig die DMEA. Und was soll ich sagen, sie war gut. Mehr als 16.000 Besucher, über 700 Aussteller, ein Plus bei den Teilnehmerzahlen von 45 Prozent und damit ein neuer Rekord. Hinzu kommen zahlreiche hochkarätige Speaker, tolle Panels und Diskussionen, viele Impulse, noch mehr gute Dialoge an den Ständen und in den Gängen sowie ein Bundesgesundheitsminister und DMEA-Schirmherr, der in seiner Keynote die weiteren Schritte zur Digitalisierung des Gesundheitswesens erläutert.

Viel mehr kann man eigentlich nicht verlangen – eigentlich. Bei einer derart positiven Bilanz fällt es selbst mir schwer, den Spielverderber zu spielen. Aber ich habe vor allem zwei aus meiner Sicht entscheidende Aspekte während der drei DMEA-Tage vermisst: die langfristige Perspektive, die Vision und die damit verbundene echte Aufbruchstimmung. Zum anderen den Mut, anzusprechen, dass digitale Transformation eine Investition ist, die nur funktioniert, wenn die Finanzierung einer „digital first“ Versorgung auf einem soliden Fundament steht.

Schaut her, wir Digitalisieren

Was meine ich damit: Mein zugegeben subjektiver Eindruck war, dass die gesamte Branche – also sowohl die Digital Health Anbieter als auch die Vertreter des Gesundheitswesens – schon ziemlich zufrieden mit sich ist. Während die einen Produkte für den Markt bereitstellen, die derzeit noch vornehmlich auf die Erfüllung der KHZG-Kriterien ausgerichtet sind, freuen sich die anderen, dass sie mit der Umsetzung des einen oder anderen Fördertatbestands das Tor zum digitalen Zeitalter öffnen. Und auch Karl Lauterbach berichtet ganz euphorisch, dass die elektronische Patientenakte, ePA, jetzt zum Standard wird. Bis 2025 sollen 80 Prozent der Patienten in Deutschland die ePA nutzen und dann ist der Weg zum eRezept als Standard auch nicht mehr weit, so die Hoffnung. Mit detaillierter Aufklärung will man im Bundesgesundheitsministerium das Vertrauen der Menschen gewinnen. Und auch der TI-Messenger wird ausdrücklich gelobt. Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage aber vielmehr: Wie können wir Lösungen und Anwendungen so orchestrieren, dass der bestmögliche Nutzen für alle das Ziel ist?

Melanie Wendling, Geschäftsführerin des DMEA-Veranstalters bvitg, wagt sogar den Vergleich zur HIMSS in den USA: „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah! Der Volksmund hat wie immer Recht: Die DMEA muss sich nicht hinter der HIMSS verstecken und niemand muss nach Israel oder in Europas Norden reisen, um zu sehen, wie auch das deutsche Gesundheitswesen sinnvoll, nutzerfreundlich und sektorübergreifend digitalisiert werden kann.“ 

Sinnvoll, nutzerfreundlich, sektorübergreifend?

Ich teile die Vision von Melanie, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens eben genauso gestaltet werden muss, sowie die Einschätzung, dass wir dafür nicht unbedingt in die USA müssen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass wir die passenden Ansätze hierzu in der Breite auf der diesjährigen DMEA schon gesehen haben. Für meinen Geschmack klopfen wir uns alle – Digital Health Anbieter genauso wie die Verantwortlichen im Gesundheitswesen und in der Politik – gerade ein bisschen zu sehr auf die eigenen Schultern.

Bei all dieser Euphorie und Lobhudelei: Wir stehen gerade erst am Anfang! Wir sind gerade erst dabei, die Weichen zaghaft in Richtung Zukunft zu stellen! Wir sind selbst mit Blick auf das KHZG und trotz immer näher rückender Deadline auch in der Klinikwelt noch weit von einer echten digitalen Transformation in der Fläche entfernt! Wir befinden uns jetzt in einer wichtigen Phase und die erfordert volle Konzentration, große Weitsicht, noch größerer Ausdauer und ist definitiv keine Phase für Kompromisse.

Das Ziel nicht aus den Augen verlieren

Ich bin mir dabei durchaus bewusst, dass wir seit dem KHZG-Start vor knapp drei Jahren schon einiges erreicht haben. Mir ist nur wichtig, dass dabei klar ist: Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, sich auszuruhen. Im Gegenteil! Ich habe mir auf der DMEA viele veritable Lösungen angeschaut, die definitiv zahlreiche Prozesse und Schritte in der Gesundheitsversorgung erleichtern können. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass derzeit tendenziell noch eher die eigene Suppe in einem vergleichsweise kleinen Kochtopf gekocht wird. Vernetzung, ein übergreifender Plattformgedanke oder gar eine Agenda für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens – welche Jahreszahl auch immer ihr folgen mag: Fehlanzeige. Zumindest nicht in dem Ausmaß, wie wir es jetzt bräuchten – auch wenn zaghafte Ansätze erkennbar sind.

Wir müssen sicherlich nicht nach Israel, in Europas Norden oder zur HIMSS reisen, um zu verstehen, wie Digitalisierung im Gesundheitswesen ganz grundsätzlich funktioniert. Eine solche Reise könnte jedoch lehrreich sein, um schon heute zu erleben, dass wir uns mit einer klaren Strategie, strategischer Orchestrierung und ganzheitlichem Denken an die Spitze setzen können. Zu glauben, wir hätten mit ein paar Fördermaßnahmen und Digitalinitiativen den internationalen Anschluss wiedergefunden, ist mit Verlaub gesagt etwas naiv. Natürlich brauchen wir Optimismus und ich werde auch nicht müde, ihn zu verbreiten. Ich glaube auch, wir marschieren definitiv in die richtige Richtung. Grund zum Jubeln, Feiern und vor allem zum Ausruhen, sehe ich allerdings nicht. Für mich gilt nach der DMEA 2023 genauso wie davor die Prämisse: einfach mal machen – und zwar genau jetzt.