Digitalisierung sollte nie ein IT-, sondern immer ein Krankenhausprojekt sein – das ist der zentrale Rat, den der Leiter der Stabsstelle Digitale Transformation der Berliner Charité, Dr. med. Peter Gocke, anderen Verantwortlichen für die Umsetzung des KHZG mit auf den Weg gibt.
Herr Dr. Gocke, alleine Ihre Position verdeutlicht ja bereits: Beim Thema Digitalisierung gehört die Charité zu den Vorreitern. Es gibt die nötigen Ressourcen, die digitale Transformation wird adressiert, was definitiv nicht in allen Häusern der Fall ist. Welches weitere Potenzial sehen Sie im KHZG für Ihr Haus?
Beim KHZG geht es nicht darum, einzelne Häuser zu digitalisieren. Ziel ist es, den Weg für ein insgesamt besseres Gesundheitswesen in Deutschland zu ebnen. Und dafür müssen sich alle Kliniken und Arztpraxen sowie die Patienten in einem etwa vergleichbaren Rahmen der Digitalisierung bewegen können. Mit dieser Erkenntnis begann bei mir tatsächlich seinerzeit auch die Karriereentwicklung vom Arzt in die Digitalisierung. Damals war es zwar mit relativ überschaubarem Zeitaufwand möglich gewesen, die Radiologie meines damaligen Arbeitgebers, der Universitätsmedizin Essen, komplett zu digitalisieren. Die Tatsache, dass der Rest des Hauses noch nicht so digital war, hat viele Vorteile dann aber schon wieder deutlich eingeschränkt. Damals ist mir bewusst geworden, dass man nicht nur eine Abteilung digitalisieren kann, sondern immer ganzheitlich vorgehen muss. Ansonsten profitieren Mitarbeiter und Patienten nicht in dem Maße, wie es nötig ist, um Aufwand und Kosten zu rechtfertigen oder wie es die Patientensicherheit eigentlich erfordert.
Auf das deutsche Gesundheitswesen übertragen, sagen Sie also, dass es eben nicht reicht, nur einige wenige Kliniken zu digitalisieren?
Ganz genau. Und hier liegt ja auch der Fokus des KHZG: Digitalisiert werden sollen die für die Patienten relevanten Prozesse in allen Einrichtungen. Dabei finde ich den gewählten Mix aus Muss- und Kann-Kriterien sehr sinnvoll. Das zeigt sich auch daran, dass man derzeit zwar viel zum KHZG hört, dabei aber nur wenig inhaltliche Kritik vernimmt.
Kann das KHZG – gerade auch mit Blick auf die insgesamt zur Verfügung stehende Fördersumme – diese umfassende Digitalisierung denn leisten?
Digitalisierung ist ja nun nichts, was sie jetzt beginnen und in ein paar Monaten wieder beenden. Wir sprechen immer über einen kontinuierlichen Prozess. Insofern kann die Förderung durch das KHZG auch nur ein erster Schritt sein. Aber viel wichtiger als die reine Geldsumme ist doch, dass hier eine definierte Richtung und eindeutige Kriterien festgelegt wurden, was überhaupt zu tun ist. Was kommt den Patienten und den Strukturen in den Häusern zugute? Ob das Thema „Finanzbedarf“ damit abschließend erledigt sein wird, weiß ich heute auch noch nicht. Aber in der Vergangenheit haben wir uns immer beschwert, dass wir kein Geld für Digitalisierung haben. Jetzt bekommen wir Geld und schon beschweren sich manche, dass es nicht genug ist und dann auch noch die Ressourcen fehlen werden sowie die Umsetzungszeit zu knapp bemessen ist. Das mag sogar alles seine Berechtigung haben, aber hilft uns nicht weiter.
Sie appellieren also daran, die Chancen, die das KHZG jetzt bietet, auch zu nutzen?
Absolut – vor allem, weil das KHZG nicht das einzige Vorhaben ist, das auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens einzahlt. Das nächste ist die sich parallel entwickelnde Telematik-Infrastruktur, deren Roadmap sogar noch weiter geht als die des KHZG. In jedem Fall haben Sie auch hier konkrete Vorgaben, an die Sie heute denken müssen, wenn Sie sich jetzt mit dem KHZG für die kommenden Jahre digital aufstellen. Das KHZG soll die Digitalisierung von Prozessen fördern und die werden künftig immer mehr mit der Telematik-Infrastruktur verwoben sein. Und beides zusammen ist ein Garant dafür, das Deutschland die Digitalisierung des Gesundheitswesens jetzt tatsächlich ernst nimmt – und zu einer nationalen, vernetzten, digitalen Plattform kommt.
Sind es auch die Abschläge, die im KHZG verankert sind und ab 2025 greifen, die dazu anhalten, Projekte jetzt anzugehen?
Mich erinnert das Vorgehen im KHZG etwas an das der USA beim „Meaningful Use“ Programm. Da wurde erst die Digitalisierung gefördert, jedes Jahr ein bisschen weniger, und nach einem Jahr Förderpause wurden jedes Jahr ansteigend gestaffelte Strafzahlungen fällig, wenn Services nicht digital angeboten wurden. Erst fördern, dann fordern ist auch die Prämisse beim KHZG. Viel wichtiger als die angekündigten Pönalen sind jedoch die definierten Kriterien. Denn wenn man sich diese genauer anschaut, kommt man nicht umhin, sich Strukturen und Prozesse näher anzusehen, um sie nach dieser Analyse digital in hoffentlich besserer Qualität umzusetzen. Die Förderrichtlinie selbst ist also schon ein Dokument, aus dem ich meinen Handlungsbedarf sehr gut und vor allem konkret ableiten kann.
Gibt es eine grundlegende Erkenntnis, die Sie aus Ihrer Erfahrung heraus weniger digitalisierten Häusern jetzt mit auf den Weg geben wollen?
Während meiner Zeit am UK Eppendorf haben wir dort in wenigen Jahren eine sehr weitgehende Digitalisierung erreicht, die uns als erstes Haus in Europa bis zur höchsten Stufe 7 des HIMSS EMRAM geführt hat. Dabei gab es eine feste Regel bei der Digitalisierung: „IT follows Process“. Das heißt, zunächst wird der Zielprozess festgelegt und optimiert und dann erst geschaut, wie die beste digitale Unterstützung aussieht. In der Vergangenheit wurden in vielen Häusern leider viel zu häufig Systeme angeschafft, weil etwa ein Hersteller überzeugend in seiner Präsentation war. Diese Systeme dann im Anschluss an die Realität anzupassen, ist äußerst schwierig. Was außerdem wichtig ist: Die Digitalisierung mit dem KHZG ist definitiv kein IT-, sondern ein Krankenhausprojekt und damit eine Aufgabe für die Krankenhausführung. In diesem Sinne kann die KHZG-Umsetzung auch nicht alleine innerhalb einer IT- oder Digitalisierungsstrategie abgebildet, sondern muss immer in eine Krankenhausstrategie eingebettet sein, aus der sich diese und weitere Anforderungen an IT und Digitalisierung ergeben. Und natürlich darf man sich jetzt auch nicht im Klein, Klein und mit einzelnen technischen Lösungen verzetteln.