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“Deutschland muss lernen moderne Technik zu nutzen”

Digitalisierung heißt für Dr. med. Anke Diehl von der Universitätsmedizin Essen, verschiedene Meinungen und Disziplinen an einen Tisch zu bringen. Und das KHZG kann nun für viele Häuser der erste Schritt in diese Richtung sein.

Frau Dr. Diehl, erst einmal herzlichen Glückwunsch zur neuen Position. Von der Digital Change Managerin zur Leiterin der Stabsstelle Digitale Transformation. Ein klares Zeichen dafür, welche Bedeutung die Digitalisierung für Ihr Haus hat?

Vielen Dank für die Glückwünsche. In der Tat unterstreicht die Einrichtung einer eigenen Stabsstelle noch einmal die Bedeutung der Digitalisierung für die Universitätsmedizin Essen. Wir beschäftigen uns ja bereits seit 2015 sehr intensiv mit dem Thema, das unser ärztlicher Direktor Prof. Dr. Jochen A. Werner damals auf den Weg gebracht hat. Ihm war klar, dass in der Digitalisierung der Schlüssel liegt, um auch weiterhin intelligent und zukunftsorientiert arbeiten zu können. Ich selbst bin jetzt seit drei Jahren in Essen und freue mich mit der neuen Position vor allem neue Prozesse denken und zulassen zu können. Wir müssen lernen, verschiedene Disziplinen und Meinungen an einen Tisch zu bringen und dort gemeinsam auf Augenhöhe zu diskutieren. Denn nur so entsteht der Mut, Prozesse anders zu denken und damit für Fortschritt und Innovation zu sorgen.

Nun sind aber nicht alle Häuser und Einrichtungen bei der Digitalisierung schon so weit wie Sie in Essen. Kann das KHZG hier Abhilfe schaffen?

Keine Frage, die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems ist an vielen Stellen sehr schlecht, der Nachholbedarf immens. Genau deshalb bin ich davon überzeugt, dass das KHZG ein toller Anreiz ist, das Thema jetzt anzugehen und voranzutreiben – und zwar für alle Häuser.

Aus Ihrer Erfahrung: Kann die Digitalisierung wirklich halten, was sie verspricht, also einen Effizienzgewinn für die Häuser und damit eine bessere Versorgung der Patienten?

Für mich ist die Antwort ein klares Ja. Wir brauchen in Deutschland moderne Technik wie Künstliche Intelligenz, um die Versorgung zu verbessern und um effizienter arbeiten zu können. Es geht auch darum, Ressourcen zu schonen. Am Ende des Tages geht es im Gesundheitswesen immer um die Patienten. Wir brauchen Zeit und Kapazitäten für unseren Kernprozess der unmittelbaren Patientenversorgung. Genau deshalb müssen wir in Systeme investieren, die beispielsweise die Dokumentation vereinfachen und automatisieren, Aufnahme- und Entlassmanagement effizienter machen und Datensilos abbauen. Denn andernfalls wird hierfür Zeit gebunden, die wir für empathische Medizin dringend brauchen.

Das heißt: Digitalisierung setzt im personellen Bereich wieder Ressourcen frei, die den Patientinnen und Patienten zugutekommen?

Das ist der Idealfall. Schon vor der Pandemie war klar, dass Personal in der Pflege aber auch im ärztlichen Dienst knapp ist. Effizient gestaltete digitale Prozesse können aber nicht nur Ressourcen freisetzen, sie unterstreichen auch, dass es sich um ein modernes, für die Zukunft gut aufgestelltes Haus handelt – einen attraktiven Arbeitgeber, der seiner Belegschaft ein zukunftsfähiges Arbeitsumfeld bietet. Auch das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für Kliniken, der jetzt mit dem KHZG realisiert werden kann.

Wobei klar ist, dass die Förderung durch das KHZG nur ein erster Schritt ist, oder?

Ein erster, notwendiger Schritt, dem – einmal gemacht – zwangsläufig ein Weg folgen muss. Genau deshalb wird im Rahmen des KHZG ja auch der digitale Reifegrad eines Hauses gemessen und eventuell ab 2025 mit Budgetkürzungen geahndet, sollte der Reifegrad bis dahin nicht den Vorgaben entsprechen. Schauen Sie sich den Impfspitzenreiter Israel an. Meiner Meinung nach klappt die Corona-Impfung dort auch deshalb so gut, weil das Land ein hochgradig digitales Gesundheitswesen hat. Wir müssen langfristig lernen, moderne Technik zu nutzen, um besser auf die Gegebenheiten reagieren zu können.

Was muss sich aus Ihrer Sicht in Deutschland noch verbessern, damit wir international den Anschluss nicht verpassen und die insgesamt hochwertige Gesundheitsversorgung auf diesem Niveau halten können?

Meiner Meinung nach müssen wir insbesondere den Schutz der Gesundheitsdaten noch einmal neu denken. Keine Frage, Gesundheitsdaten sind sensibel und absolut schützenswert. Daran besteht kein Zweifel. Nur darf der Datenschutz nicht so weit getrieben werden, dass neue Lösungen am Ende des Tages keinen Mehrwert mehr bieten können, weil sie derart eingeschränkt sind. Fortschritt heißt ja auch, dass eine Künstliche Intelligenz beispielsweise neue Risikofaktoren in bestehenden Daten entdeckt – nur muss sie dafür die Chance haben, die Daten auch auszuwerten. Auch hier wieder der Verweis auf die Kollegen in Israel wie beispielsweise Eyal Ziemlichman vom Chaim Sheba Medical Center in Tel Aviv, die eindrucksvoll beweisen, wie Patienten in der Versorgung, der Diagnostik aber auch mit Blick auf die Sicherheit von einem hohen Digitalisierungsgrad profitieren.