Bei all den Gegenwartsproblemen vergessen wir, dass es aktuell an vielen Stellen vor allem um die Zukunft geht. Die Entscheidungen im Hier und Jetzt stellen die Weichen und die Frage nach einem einheitlichen, verbindlich verpflichtenden Standard für den Austausch von Gesundheitsdaten ist eine davon.
Die ganze Welt ist „on FHIR“ – und in Deutschland flackert gerade einmal ein Lichtlein. Mehr Worte braucht es eigentlich nicht, um die aktuelle Thematik rund um einen möglichen Standard zum Austausch von Gesundheitsdaten zusammenzufassen. Nun ist das keine neue Entwicklung, warum also FHIR als Thema für Quo Vadis Digital Health im Oktober?
Ganz einfach: Gerade erst hat Israel über Yoel Ben-Or, Leiter der Abteilung für digitale Gesundheit im israelischen Gesundheitsministerium, verlauten lassen, dass sich das Land bei der Wahl eines Standards zum Austausch von Gesundheitsdaten an den USA orientieren, kurz auf FHIR setzen wird. An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass sich das israelische Gesundheitsministerium eine eigene Abteilung für digitale Gesundheit leistet – aber vielleicht kommen wir da ja auch noch hin.
Warum FHIR
Lassen Sie uns erst einmal analysieren, was an dieser Nachricht – die medial tatsächlich kaum Aufmerksamkeit bekommen hat – so spannend ist. Dafür gilt es zunächst, zu verstehen, was FHIR – kurz für Fast Healthcare Interoperability Resources – so besonders macht. Das Gesundheitswesen verfügt seit vielen Jahren über einen immensen Datenschatz, der jedoch mindestens genauso lange in proprietären Strukturen eingeschlossen ist. Für Leistungserbringer, Kostenträger sowie Patientinnen und Patienten heißt das: Daten und Informationen werden zeitaufwändig mit veralteten Technologien übermittelt. Ein Beispiel, was jeder kennt, ist die Überweisung zu einem Spezialisten oder in eine Klinik. Die bekommen Patientinnen und Patienten in der Regel physisch in die Hand und müssen sie genauso weiterreichen wie ihre Patienteninformationen. Oder aber die Tatsache, dass einzelne ausgewählte Informationen nicht zwischen den Leistungserbringer weitergebenen werden können. Wenn überhaupt werden Dokumente wie der Arztbrief aus den Systemen heraus übermitteln, um die Anfrage einer Ärztin nach bestimmten Gesundheitsinformationen zu beantworten. Das macht sowohl die Suche innerhalb der Daten als auch ihre Übermittlung komplex, ist zeitaufwendig und hilft auch nicht dabei, gute Lösungen aufzubauen, die Entscheidungen unterstützen.
Mit FHIR ist das anders. Der Standard ist agil, modern, unterstützt mobile Architekturen und verbindet Patientinnen und Patienten ortsunabhängig mit ihren Daten – ist aber eben nicht der einzige Standard. Allerdings ist FHIR der Standard, der sich in den USA durchsetzt. Auch Ben-Or geht wie viele andere Experten davon aus, dass der gesamte US-Markt FHIR als Standard verwenden wird. Zum einen, weil FHIR auf einer Open Source-Lizenz basiert und zudem für Entwickler einfach zu erlernen und umzusetzen ist. Darüber hinaus ist für alle über FHIR ausgetauschten Daten eine TLS/SSL-Verschlüsselung erforderlich, was dem Standard in Punkto Sicherheit einen Vorsprung beispielsweise gegenüber anderen HL7-Standards verschafft. Und dann ist da noch das Thema Ressourcen: FHIR verwendet einheitliche Datenkomponenten und -formate, die als „Ressourcen“ bezeichnet werden. Die kleinste realisierbare Transaktionseinheit in FHIR ist eine Ressource, die signifikante Daten über eine bekannte Identität bereitstellt. Auch deshalb ist der Standard so vielseitig einsetzbar – angefangen bei mobilen Anwendung bis hin zur Kommunikation in der Cloud oder der Serverkommunikation in großen Gesundheitseinrichtungen.
Die Amerikaner geben den Ton an
Für die Israelis sind es aber eben nicht (nur) die Vorteile, sondern der Vormarsch von FHIR in den USA, der sie nun dazu bewogen hat, den Standard zur Pflicht werden zu lassen. Man habe zunächst auf Anreize gesetzt, um FHIR auch in Israel zu etablieren, nun aber gemerkt, dass das als Maßnahme noch nicht ausreiche. Wie der Tagesspiegel in seinem Background berichtete, sagte Ben-Or beim zweiten Digital Health Roundtable des German Israeli Health Forum for Artificial Intelligence, dass man in Israel zwar über eine Menge digitaler Daten verfüge, man aber ohne jegliche Durchsetzung von Standards begonnen haben. Damit sei der Status Quo ein großes Durcheinander beim Datenaustausch, dass man mit der FHIR-Pflicht nun lösen möchte. Und da die USA nun einmal der wichtigste Markt seien, was Innovationen angehe, orientiere man sich auch dort.
Und wir in Europa?
Die Herausforderung, vor der wir bei den Gesundheitsdaten stehen, wurde zumindest auch in Europa erkannt und soll mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum, kurz EHDS, adressiert werden. Aber einen Standard wie FHIR sucht man in der Verordnung vergebens. Immerhin: Für Deutschland hat der Interop Council der gematik den Einsatz von FHIR als Standard bereits beschlossen. Das ist ein wichtiger Schritt, reicht aber vermutlich nicht aus, was uns aus dem israelischen Beispiel deutlich werden sollte. Wir steuern also auch auf ein Durcheinander zu – um nicht sagen zu müssen: Wir sind schon mittendrin.
Spannend wird deshalb auch, was das Bundesgesundheitsministerium aus den EHDS-Verordnung macht, die – wie alle Gesetze auf EU-Ebene – in nationales Recht umgewandelt werden muss. Die Erwartungen an das deutsche Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz, dass derzeit erarbeitet wird, sind groß. Es muss vorausschauend ausgestaltet sein und dafür sorgen, dass Deutschland auch internationale anschlussfähig bleibt. Was dabei nicht hilft, ist die Datenschutz-Keule, die zumindest verbal an der einen oder anderen Stelle bereits rausgeholt wird. So sorgt sich beispielsweise der Bundesverband Medizintechnologie in einer Stellungnahme, dass es „Widersprüche und unterschiedliche nationale rechtliche Auslegungen insbesondere hinsichtlich der europäischen Datenschutzgrundverordnung“ geben könnte, was tunlichst vermieden werden müsse.
Und genau deshalb ist das Thema für Quo Vadis Digital Health im Oktober „on FHIR“. Warum hierzulande nicht lauter und deutlicher nach einem verbindlichen Standard gerufen wird, verstehe ich nicht, zumal es uns andere Länder – mal wieder – vormachen. Noch sind wir nicht abgehängt, noch haben wir durchaus eine realistische Chance, mitzugestalten und zu agieren. Und wir haben an einigen Stellen sehr gute Ansätze wie ISiK, die Abschaffung von Schnittstellen als Geschäftsmodell durch das KHPflEG oder auch die Wechselschnittstelle im ambulanten Bereich. Jedoch kristallisiert sich auch immer öfter heraus, dass wir doch nur hinterherlaufen und darauf reagieren, was andere machen – weil wir eben keine Standards verbindlich festlegen, wie es in Israel jetzt der Fall ist. Im Handelsblatt kann man ganz aktuell von der neue Macht der Monopole lesen. Und Senior Editor Hans-Jürgen Jakobs wirft die These in den Raum, dass es „bei allen wichtigen Produktionsfaktoren der modernen Informationsgesellschaft – Daten, Kapital, Rohstoffe – seit langem einen Trend zur Machtzusammenballung gibt. Wenn es so weiterliefe, hätte Europa irgendwann nur die Wahl, ob es lieber von privaten, staatlichen geförderten US-Monopolen (Amazon, Microsoft & Co) oder von staatlichen, privat unterstützten Monopolen Chinas abhängig sein will.“ Also sorgen wir gemeinsam dafür, dass es nicht so weiterläuft!